Achtlos kann man sicherlich nicht an dem Haus Wiesenweg 1 im alten Ortskern Borkums vorbeigehen. Es sieht zwar klein und bescheiden aus, dennoch auch besonders. Und das ist es auch. Es ist das älteste noch erhaltene Insulanerhaus auf Borkum. Die Bauweise als sog. Gulfhaus mit Vorderhaus und einem angrenzenden Scheunenteil entsprach der zu dieser Zeit typischen Bauweise an der Nordseeküste und den Inseln.
Wie das für Denkmalschutz zuständige Amt für Planung und Naturschutz im Landkreis Leer bestätigt, wurde das ehemalige Fischerhaus bereits im Jahre 1660 errichtet: „Das Gebäude Wiesenweg 1 auf Borkum ist Denkmal gemäß § 3 Abs. 2 Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz. Es ist mit folgendem Text in das Denkmalverzeichnis der Stadt Borkum eingetragen: ‚Wohnhaus; Fischerhaus, ehem. Haus Teerling; 1-gesch. Ziegelbau unter Satteldach am Wohnteil mit Giebelschornstein. Ehemaliger Wirtschaftsteil mit seitlichen Kübbungen, wohl erst später zu Wohnzwecken ausgebaut. Erbaut im Kern 1660.’“ 37 (Kübbung = seitliche Raumerweiterung)
Im Laufe der Zeit wohnten in dem – erst 1713 ins Borkumer Einwohnerregister eingetragenen – Haus viele Jahre die Familie Teerling, aber auch Kapitäne, Bauern, Kaufleute oder Gäste der Insel. Im Jahre 1879 wohnte der Dichter und Zeichner Wilhelm Busch (1832 bis 1908) bei seinem dritten Besuch auf Borkum für einige Wochen im Wiesenweg 1.
Im Jahre 1879 wohnte der Dichter und Zeichner Wilhelm Busch (1832 bis 1908) bei seinem dritten Besuch auf Borkum für einige Wochen im Wiesenweg 1.
Aber das Gebäude birgt auch ein dunkles Geheimnis. So wurde hier nämlich einst die kleine Geertje Tjarks Haan geboren, die als „Malle Geertje“ in die Borkumer Geschichte eingehen sollte. Alten Aufzeich- nungen zufolge wurde das Mädchen früh zum Waisenkind, wusste sich aber als begabte Näherin schon früh selbst durchzuschlagen. Sie war sehr hübsch und wurde als junge Frau von vielen Männern umschwärmt. Besonders die Soldaten der Hannoverschen Regierung – die auf die Insel entsandt wurden, um die Revolte der Borkumer gegen den Inselvogt zu unterbinden – warfen ein Auge auf die schöne und unschuldige Jungfrau. Und tatsächlich schaffte es ein Soldat, Geertjes Herz zu gewinnen, sich mit ihr zu verloben und diese schließlich zu verführen. Der Soldat verließ sie und Geertje verlor den Verstand. Über 42 Jahre lag sie bis zu ihrem Tod angekettet im Borkumer Armenhaus in der Süderstraße.
Noch vor einigen Jahren drohte das Insulanerhaus langsam zu verfallen, konnte jedoch noch im letzten Moment durch einen privaten Investor gerettet und erhalten werden. Es wurde zwischen 2007 und 2009 nach alten Vorlagen restauriert. Im alten, neuen Haus Wiesenweg 1 entstanden zwei Ferienwohnungen, die man nach ehemaligen Bewohnern benannt hat: „Klaas Piepke“ (seinerzeit Borkumer Kapitän und im 19. Jahrhundert Eigentümer) und „Malle Geertje“.
Quelle: Wolf E. Schneider, Die große BIOGRAFIE der INSEL BORKUM, BurkanaVerlag 2021/2023