Strandzelte – Die Borkumer Erfindung
Während auf alten Postkarten oder Bildern von Anfang der 1890er-Jahre noch zu erkennen ist, wie die feine Gesellschaft fast ausschließlich Strandkörbe benutzte, sollte sich das Bild innerhalb von zehn Jahren komplett ändern. Zwar gibt es leider keine genauen Aufzeichnungen über das Auftauchen der bunten Strandzelte, vertraut man jedoch den Erscheinungsdaten der damals schon herausgegebenen Postkarten, kann davon ausgegangen werden, dass diese ab ca. 1896 „die Macht am Strand übernahmen“. Demnach waren die Strandkörbe bereits in den Jahren 1899/1900 zum größten Teil verschwunden und die Strände der Insel schon damals ein buntes Meer aus Zelten – deren Anzahl parallel zu den steigenden Gästezahlen stetig anwuchs.
Nicht zuletzt lag das auch daran, dass die Strandzelte sehr praktisch waren – und den einfachen Körben gegenüber eine Menge Vorteile boten. So konnten in ihnen beispielsweise gleich zwei Personen Platz nehmen, sie boten einen nahezu perfekten Schutz vor Wind und Regenschauern, ermöglichten ungestörtes Umkleiden, das trockene Aufbewahren von Kleidung – und dienten vielen Kindern aufgrund ihrer verschiedenen Farben als Orientierungshilfe am weitläufigen Strand. Zudem beweist die bis heute kaum veränderte Bauweise der Strandzelte, dass die Borkumer Erfindung von Anfang an fast perfekt gewesen sein muss. Wurden die Strandkörbe nämlich nach und nach vom einfachen Einsitzer zum klappbaren Zweisitzer modifiziert, haben sich die Strandzelte seit ihrer ersten Konstruktion nur minimal verändert. Demnach können deren Sitzbänke heutzutage in zwei Teile zerlegt werden – was der Gast je- doch gar nicht merkt. So dient diese Weiterentwicklung lediglich dem Strandzeltvermieter, der seine Zelte so einfacher abbauen und im Winter einlagern kann.
Einträgliches Geschäft mit Strandzelten
Sahen Insulaner in der Vermietung von Zelten vorerst lediglich die Möglichkeit, sommersaisonbedingte Arbeitslosigkeit zu überbrücken, entwickelte sich die Strandzeltvermietung nach und nach zu einem einträglichen Geschäft. Es entstanden richtige Strandzeltvermieterfamilien, sodass die jeweiligen Zelte meistens an die Söhne oder Schwiegersöhne übergingen – teilweise jedoch auch anderweitig weiterverkauft wurden. Bis in die späten 1950er-Jahre waren die gestreiften Strandzelte übrigens noch gekrönt durch attraktive Holzknöpfe, deren Farben und Formen auf den jeweiligen Strandzeltvermieter verwiesen. Da ihre Instandhaltung jedoch sehr aufwendig war, und die Holzknöpfe zudem bei Sturm häufig die Nachbarzelte beschädigten, verzichteten die Vermieter schließlich auf sie. Eine eindrucksvolle Sammlung dieser historischen Holzknöpfe mit Hinweisen auf die Vermieterfamilien findet sich heute noch im Heimatmuseum Dykhus.
Zwar sind die Holzknöpfe an den Stränden Borkums mittlerweile komplett verschwunden, jedoch tut das dem Geschäft der Strandzeltvermieter keinen Abbruch. Noch immer sitzen sie in ihren kleinen Hütten am Nord- und am Südbad, um Gästen hier ein vorübergehendes Zuhause zu vermieten. Oftmals vertrauen letztere dabei jedes Jahr auf den gleichen Strandzeltvermieter – und bevorzugen nicht selten auch ihren gewohnten Stammplatz.
Quelle: Die große BIOGRAFIE der INSEL BORKUM, Wolf E. Schneider, 2021/2023