4. August 1944 Die Ermordung der Flieger – Die ganze Geschichte

Sommer 1944. Am 06. Juni 1944 landeten die westlichen Alliierten in der Normandie und begannen ihren Weg in Richtung Nazi-Deutschland. Am 20. Juli 1944 versuchten deutsche Widerstandskämpfer unter der Leitung von Claus Graf Schenk von Stauffenberg ein Attentat, um Adolf Hitler zu töten. Der versuchte Militärputsch scheiterte und in den folgenden Wochen wurden über 200 Beteiligte hingerichtet. Am 23. Juli wurde das deutsche Vernichtungs- und Todeslager Majdanek/Lublin durch die nach Westen vorrückende Rote Armee befreit. Aber der seit dem 01. September 1939 tobende Zweite Weltkrieg verursachte auch 1944 weiterhin Angst, Schrecken und Tod. Auch auf Borkum.

Am 04. August 1944 ereignete sich auf Borkum ein Verbrechen, welches die Insulaner noch lange beschäftigte. Für Jahrzehnte war das Thema auf Borkum tabu, niemand sprach darüber, keiner wollte etwas darüber wissen. Es gab Gerüchte, falsche Informationen verselbstständigten sich und angebliche Tatsachen wurden verändert. Literatur, wie z.B. das 1952 erschienene Buch „Landsberg-Henker des Rechts?“ wurde von denen, die es besaßen, nicht ausgeliehen. Der dokumentarische Bericht „Landsberg“, 1951 herausgegeben vom „Office of the U.S. High Commissioner for Germany, Information Services Division“ war nur schwer zu recherchieren.

Erst der Borkumer Wilfried Krahwinkel jun. veröffentlichte im Dezember 2002 eine umfassende Dokumentation, die nach vielen Jahren eine vorurteilsfreie und erklärende Tatsachenbeschreibung der Tat ermöglichte. Die Dokumentation ist heute im Borkumer Heimatmuseum Dykhus zu sehen.

Was war geschehen?
Von den Flugplätzen der 8. U.S. Luftflotte in England starteten am 04. August 1944 ca. 1300 Bomber mit den Zielen Hamburg, Anklam, Bremen, Kiel, Peenemünde, Rostock, Schwerin, Wismar und weiteren Städten. Eine der Boeing B17 Flying Fortress-Bomber unter dem Kommando des Piloten 2nd. Lt. Harvey M. Walthall und weiteren neun Besatzungsmitgliedern startete zwischen 09:00 und 09:32 vom Flugplatz Sudbury in Suffolk.


Um 13:06 Uhr geriet der Verbund unter Flakbeschuss und die Maschine von Lt. Walthall kollidierte mit einem anderen getroffenen Flugzeug. Sein Flugzeug geriet kurzzeitig außer Kontrolle, es gelang dem Piloten jedoch, die Maschine wieder abzufangen. Während dieser Phase wurden von Augenzeugen drei Fallschirmabsprünge aus Walthall‘s B-17 gesichtet, zwei wurden später bestätigt. Es handelte sich dabei um den Bordingenieur Kazmer Rachak sowie den Navigator Quentin Ingerson. Beide gerieten in Kriegsgefangenschaft, lebten aber nach dem Krieg wieder in den USA.

2nd Lt.Walthall beschloss, auf direktem Weg nach England zurückzukehren. Die Beschädigungen durch die Kollision und den Flakbeschuss machten eine Rückkehr nach England unmöglich. Der Pilot entschloss sich, die Maschine auf Borkum notzulanden. Er flog einige Schleifen und wurde dabei von der auf Borkum stationierten Flak beschossen. Um ca. 13:50 Uhr machte er eine erfolgreiche Notlandung auf dem sog. Muschelfeld neben dem Nordstrand (dem heutigen Gebiet zwischen Café Seeblick und dem FKK-Strand). Bis auf ein leicht am Kopf verletztes Besatzungsmitglied überstanden alle die Notlandung ohne Blessuren. Sie ergaben sich bereitwillig den heraneilenden Soldaten. Sie wurden zu Kriegsgefangenen erklärt und standen somit unter den völkerrechtlichen Regelungen für Kriegsgefangene dem Gewahrsam des Deutschen Reichs. Nach der Gefangennahme und den anschließenden Verhören sollten die Amerikaner aufs Festland gebracht werden.

Und nun begann das Drama auf Borkum, welches hätte vermieden werden können. Der Wachmannschaft wurde ein Erlass des Reichspropagandaministers Goebbels mitgeteilt, dementsprechend die Wachsoldaten bei Übergriffen der Bevölkerung auf die Gefangenen nicht eingreifen durften. Die Polizei und der Bürgermeister wurden über das Vorgehen und die geplante Marschroute informiert. Vor dem Abmarsch wurde ein Wachsoldat ausgetauscht, der den Gefangenen gegenüber nicht streng genug zu sein schien.

Anstatt die Gefangenen auf dem kürzesten und schnellsten Weg zum Hafen zu bringen, wurde der längste von mehreren möglichen gewählt. Er führte außerdem durch die bewohnten Gebiete Borkums. Ein Triebwagen der Borkumer Kleinbahn hätte für den Transport der Gefangenen zur Verfügung gestanden. Für den Marsch wurde jedem Gefangenen ein Wachsoldat zugeteilt und es sollte ein Abstand von fünf bis sechs Metern zwischen den Amerikanern eingehalten werden. Jede Unterhaltung zwischen ihnen war untersagt und sie mussten ihre Hände ständig über dem Kopf halten.

Der Marsch führte zunächst von der Batterie Ostland über den Strand zur oberen Strandpromenade. Dort trafen sie auf eine Kolonne des Reichsarbeitsdienstes (RAD), ausgestattet mit Arbeitsgeräten. Vor dem Abbiegen in die Viktoriastraße führte der Wachführer ein kurzes Gespräch mit dem Leiter der Arbeitsdiensttruppe. Die RAD-Arbeiter formierten sich zu einem Spalier, durch das die Kriegsgefangenen marschieren mussten. Dabei wurden sie von den Arbeitern mit Spaten und Schaufeln geschlagen. Die Wachsoldaten griffen nicht ein, um die Misshandlungen zu verhindern.

Die Gefangenen wurden durch die Strandstraße, dann am Bahnhof vorbei zur Franz-Habich-Straße geführt. An der Ecke Franz-Habich-Straße/Bahnhof kam es zu weiteren Übergriffen. Eine besondere Rolle spielte dabei Bürgermeister Jan „Varus“ Akkermann. Passanten wurden von ihm durch Zurufe zu Gewalttaten gegen die Gefangenen ermuntert. Auch das ließen die Wachsoldaten geschehen. Der Marsch ging weiter über die Neue Straße bis zum Rathaus, mit weiteren Übergriffen auf die Amerikaner ohne jegliches Eingreifen der Wachtruppe.

Am Rathaus eskalierte die Situation. Einer der Gefangenen stolperte und fiel zu Boden. Aus der Menge trat ein uniformierter deutscher Soldat und schoss dem auf dem Boden liegenden Amerikaner von hinten in den Kopf. Die Wachsoldaten griffen wieder nicht ein und vermieden es auch, den Schützen zu stellen. Der Gefangene verstarb eine Stunde später im Gebäude des Sicherheitshilfsdienstes. Die verbliebenen amerikanischen Flieger wurden weiter am Alten Leuchtturm vorbei in Richtung Reedestraße geführt. In der Blumenstraße kam es zu weiteren Übergriffen von Passanten. Als der Marsch am Sportplatz Reedestraße ankam, schoss der deutsche Soldat, der bereits den ersten Amerikaner getötet hatte, den inzwischen erschöpften Gefangenen nacheinander in den Kopf. Er tötete sie alle. Einer der Wachsoldaten schoss zwei der Ermordeten nochmal in den Kopf.

Der mehrfache Todesschütze wurde später als Erich Langer aus Hamburg identifiziert. Langer war auf Borkum als Wachsoldat für die französischen Kriegsgefangenen eingesetzt. Er hatte bei schweren Bombenangriffen auf Hamburg seine Familie verloren. Nach den Todesschüssen stellte er sich den Behörden. Nach unbestätigten Informationen soll er an die Ostfront versetzt worden sein, wo er im Laufe des Krieges fiel.

Alle weiteren Beteiligten wurden von ihren Vorgesetzten zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die ausgestellten Todesscheine mit dem Hinweis „Schuss in den Kopf“ wurden auf Anordnung nachträglich verändert. Die Ermordung der Amerikaner durch den Soldaten Langer sollte durch die Änderung der Totenscheine mit dem Hinweis „Tod durch Schläge auf den Kopf“ anderen Beteiligten zugeschrieben werden.

Es wurden am 04. August 1944 auf Borkum ermordet: •

2nd Lt. Harvey M. Walthall
2nd Lt. William J. Myers
2nd Lt. Howard S. Graham
Sgt. Kenneth Faber
Sgt. James W. Danno
Sgt. William F. Dold
Sgt. William W. Lambertus

Die amerikanischen Behörden erfuhren nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch französische Kriegsgefangene von dem Verbrechen. Nach umfangreichen Ermittlungen und Verhaftungen begann am 06. Februar 1946 der Prozess vor dem „Borkum-Island-Court“ im Schloss Ludwigsburg/Baden-Württemberg. Die beteiligten Personen wurden dabei der gemeinschaftlichen Verletzung der internationalen Kriegsrechte und der Verletzung der Genfer Konventionen angeklagt.

Am 23. März 1946 verkündete der Vorsitzende Richter Colonel Jackson die Urteile:
Fregattenkapitän Dr. Kurt Goebell, Todestrafe
Korvettenkapitän Walter Krolikowski, lebenslang Gefängnis
Oberleutnant Erich F. Wentzel, Todesstrafe
Kapitänleutnant, Karl Weber, 25 Jahre Gefängnis
Oberleutnant Joh. Valentin Seiler, Todesstrafe
Oberfeldwebel Johann J. Schmitz, Todesstrafe
Soldat Johann Pointner, 5 Jahre Gefängnis
Soldat Günther Albrecht, 6 Jahre Gefängnis
Soldat Karl Geyer, 4 Jahre Gefängnis
Soldat Heinz Witzke, 11 Jahre Gefängnis
Bürgermeister Jan Varus Akkermann, Todesstrafe
Polizeimeister Heinrich Rommel, 2 Jahre Gefängnis 
Gustav Mamenga, 20 Jahre Gefängnis
Heinrich Heinemann, 18 Jahre Gefängnis
Klaas Meyer-Gerhards, Freispruch

59 Jahre später, am 04. August 2003, wurde auf dem Platz des Kriegerdenkmals Hindenburgstraße/Ecke Kirchstraße für die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges der Insel Borkum ein zusätzlicher Gedenkstein enthüllt. Auf Initiative des Borkumer Rotary-Clubs soll das Mahnmal dem Gedenken an die sieben ermordeten Mitglieder der Bomberbesatzung dienen. Zur offiziellen Feierstunde waren die zwei ehemaligenBesatzungsmitglieder des Bombers aus den USA angereist, die vor der Notlandung des Flugzeugs abspringen konnten: Bordingenieur Kazmer Rachak sowie Navigator Quentin Ingerson.

„Zum Gedenken an die Soldaten der US-Airforce, die am 04. August 1944 auf unserer Insel nach ihrer Gefangennahme auf tragische Weise ihr Leben verloren.

2nd Lt. Harvey M. Walthall
2nd Lt. William J. Myers
2nd Lt. Howard S. Graham
Sgt. Kenneth Faber  
Sgt.James W. Danno 
Sgt. William F. Dold
Sgt. William W. Lambertus

Mit ihnen gedenken wir auch der Millionen Soldaten vieler Länder, die entgegen den internationalen Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen in der Gefangenschaft ihr Leben lassen mussten.“

Quelle: Die große Biografie der Insel Borkum, Wolf E. Schneider; 2021/2023

Die Ermordung der Flieger, 04. August 1944

Beitragsnavigation


2 Gedanken zu „Die Ermordung der Flieger, 04. August 1944

  1. Danke für diesen ausführlichen Bericht. 1949 wurde ich auf Borkum geboren und meine Mutter hat mit meinem Grossvater darüber geredet. Ich habe sie als 7 jährige belauscht und beim Nachfragen keine Antwort bekommen. In jedem Urlaub besuche ich das Mahnmal. Danke

    1. Moin Frau Heymann, danke für Ihren Kommentar. Ich finde es sehr schön, dass Sie Ihren Urlaub nutzen, um das Mahnmal auf Ihrer Heimatinsel zu besuchen. Herzliche Grüße von Ihrer Insel. Wolf E. Schneider

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

error: Content is protected !!